Da war es! Ich hatte das schon im Gefühl, als wir uns auf den Besuch des Flohmarkts machten, dass mich wieder ein Buch anspringt und ich es dann kaufen musste. Der Verkäufer half mit seinem Preis von 5€. Stolz zeigte ich es meiner Frau. „Das ist vom Multzer, dem Gründer von den Altstadtfreunden“ erklärte ich. Zwar freute sie sich, aber wir hatten uns doch vorgenommen überhaupt nichts zu kaufen und deswegen gab es auch keine Tasche. Ich trug das Buch offen unter dem Arm.
Auf der Fleischbrücke trafen wir unsere älteste Nachbarin am Rollator. Man wechselte ein paar Worte der Begrüßung und Überraschung, dass sie auch hier war. Dann präsentierte ich das Buch. „Das musste ich kaufen. Ist von dem Gründer Altstadtfreunde und als Mitglied muss man das doch haben“. Sie kannte das Buch. Und meinte dann: „Ich habe das damals noch gesehen, wie hier nichts mehr stand. Es war ja alles leer hier“. Eine richtige Zeitzeugin sei sie. Aber es würden ja immer weniger und so vergisst man das, was damals war.
Hinter der Fleischbrücke sah ich ein seltsames Buch hinter einer Stehlampe. „Kokoschka“ in Schreibschrift war zu lesen. Ich deutete darauf und schon gab es mir der Händler zur Ansicht.
Es war eine Biografie Kokoschkas, die bei einer Museumseinweihung in Berlin veröffentlicht wurde. Insgesamt war es ein interessantes Buch, wenn mich denn Maler wirklich interessiert hätten. Ich hatte den Namen zunächst eher im politischen oder philosophischen Umfeld angesiedelt.
„Das Format passt leider gar nicht zu unseren Regalen“, gab ich es diplomatisch zurück.
„Heute verkaufen sich auch keine Bücher“, antwortete der junge Mann.
Mit „Ich habe hier, das hier gekauft. Es zeigt Nürnberg ein halbes Jahr vor der Zerstörung. Im Januar 45 war das hier alles platt.“ begann ein längeres Gespräch über die Zerstörungen in Goslar. Er kam zwar nicht aus Goslar, aber hatte dort studiert und mitbekommen, was dort alles wieder aufgebaut wurde.
Sein „Ich bekomme so einen Hals, wenn ich nun seit drei Jahren mit ansehe, wie die nicht verhandeln, sondern einfach weitermachen..“ leitete das Gespräch über in eine Erörterung der Friedensdemonstrationen mit den Gegendemonstranten von der Antifa. Aber für einen friedlichen Markttag war das kein so schönes Thema und als meine Frau nach dem Preis für sechs Hornknöpfe fragte, konnten wir den Stand entspannt verlassen.
Wenig später trafen wir in der Kaiserstraße auf eine Gruppe junger Männer. Sie trugen Vollbärte mit rasierter Oberlippe, was mich zunächst an Propagandisten des Kalifatstaats erinnerte. Allerdings verteilten sie Bibeln. Ihr Stand bestand aus einer einfachen Kiste mit der Aufschrift „Wir sind keine Zeugen Jehovas“, darauf war eine Lade mit eben den Bibeln und weiteren Flugblättern.
„Warum seid ihr keine Zeugen Jehovas?“, formten meine Lippen, als ich einen von ihnen ansah. Das triggerte den jungen Mann und er erklärte mir sehr, sehr viel. Hängengeblieben ist nur, dass diese meinen nur 144.000 kämen in den Himmel und er dies entschieden ablehne. Ich stimmte ihm zu und er teilte mir dann seine eigentliche Message mit. Ich bewunderte ihn für seine klare Überzeugung. Nach seiner Meinung ist ein Christ jemand, der sich Christus gegenüber öffnet. Das wäre so auch in der Bibel beschrieben. Er zeigte mir eine Stelle in einem Evangelium. Dazu brauchte man keine Kirche und keinen Prediger. Man müsse selber eine spirituelle Wiedergeburt zulassen und mit erleben, wie sich die eigene Sicht von der Welt dann ändert. Ihm sei das 2019 passiert und seitdem sei er bei dieser Gruppe in Memmingen dabei. Neben mir bemerkte ich eine Christin, die ähnliches verkündete.
Ich bedankte mich für die Predigt, bekam einige Flugblätter mit, die ich in mein Buch legte. Meine Frau war genauso beeindruckt, von der Gruppe. „Dass die sich so hinstellen und von ihrem Glauben reden. Schon schön, so etwas zu sehen“, war ihr Statement, dem ich mich anschloss.
Vor dem Finanzministerium am Sebalder Platz sah ich eine Frau neben einer Fahne, die die Woche der Meinungsfreiheit feierte. „Ja, ja, das sind die Leute mit dem Mittelfinger bei den Coronademos“, rief ich ihr zu. Sie war sichtlich verblüfft. „Sie verwechseln da was“, leitete ihr Statement ein. Ich musste mir das dann doch anhören. Es war nicht etwas, das von der Stadt organisiert wurde, sondern von Philosophen, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere. Und es sei nun mal Woche der Meinungsfreiheit und diese riefen auf, Unterschriften gegen den Krieg in der Ukraine und den Krieg in Gaza zu sammeln. Sie deutete auf eine leere Unterschriftenliste. Daneben lag eine Liste von Unterschriften gegen die Digitalisierung der Polizei, die auch von Grünen, SPD und den Linken unterstützt würde. Diese bewarb sie offensichtlich mit mehr Erfolg, es waren fünf Anschriften zu sehen.
Ich mochte meinen Namen nicht für etwas von den Grünen unterstütztes geben und lenkte das Gespräch auf die Kriege. Das spornte sie an, von ihrem Buch zu erzählen, in dem sie zusammen getragen hatte, was es seit BRD Gründung für Kriegsvorbereitungen gegeben hatte. Sie präsentierte ein Flugblatt mit einer Kopie eines Archivauszugs aus dem Jahr 1966. Schon damals hatte der Ostgeheimdienst die Kriegsvorbereitungen der BRD in Zusammenarbeit mit der US-Armee so beschrieben, wie es heute wieder passen würde. Laut las sie daraus vor und meinte dann „das passt doch genau zu dem, was die heute wieder machen“. Meine Zustimmung wertete sie als Ansporn zu ihrem Lieblingsthema, der Sammlung von Daten, zurückzukehren. Ich hörte ihre Argumente noch einmal an, stimmte ihr auch da zu und dann verabschiedeten wir uns mit einem gegenseitigen Danke für die offenen Worte.
Am Abend wunderte ich mich noch über diese offline Begegnungen mit fremden Menschen. Wenn ich diesen nur online begegnet wäre, hätte ich Statements überflogen, einsortiert in ok, dem stimme ich zu und nok, wie doof ist das denn. Auf das eine oder andere hätte ich geantwortet, aber offline kommt nicht nur das gesprochene rüber, sondern auch die Statur, der Blick, die Betonung und auch die Atmung.
Ich nehme mir vor, in Zukunft mir mehr Zeit dafür zu nehmen.