Ein Zitat von Kafka kreuzte meinen Weg: „Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.“ Das war der Kafka, der das mit dem Prozess und der Verwandlung geschrieben hatte. Der, wie ein Besuch beim Kafka-Museum in Prag zeigte, unter der Fuchtel seines Vaters stand, der ihn zu einer Bürotätigkeit verdammte. Viel lieber wäre er Künstler, Maler oder Dichter geworden. Von Schönheit und Lebensfreude präsentierte das Museum nichts aus seinen Jugendjahren. Erst als er der deutsch-jüdischen Theatergruppe aus Lemberg begegnete, wandelte sich sein Tagebuch. Ab da waren humoristische Einträge zu lesen.
Geschminkte Rollatorfahrerinnen scheinen die Logik seiner Behauptung zu widerlegen. Sie sind alt und erkennen trotzdem, dass ihr Gesicht mit Schminke schöner aussieht. Trotzdem liest sich die Behauptung gut. Der Leser bekommt eine Möglichkeit das Altern zu vermeiden, in dem er nicht etwa eine Diät hält oder sich mit Körperübungen quält, sondern einfach nur das Erkennen von Schönheit pflegt. Es liest sich einfach, ist aber in der Umsetzung nicht so einfach.
Schönheit ist abhängig von dem, der diese empfindet. Was der eine als schön empfindet, kann für den anderen hässlich sein. Es ist die freudige Überraschung, wenn etwas geschieht oder erscheint, das einem einen Genuss bereitet oder auch bereiten könnte, die den alt machenden Stress bekämpft. Diese Überraschung muss aber zugelassen werden. Sind die alltäglichen Sorgen und Nöte zu groß, werden die Genüsse nicht mehr wahrgenommen und die Schönheit verschwindet unerkannt. Trotzdem kann in der Erinnerung an einen Vorfall dessen Schönheit später entdeckt werden.
So ging es mir mit dem Hammeleintopf auf der Peloponnes. Damals war noch Militärregime in Griechenland und entsprechend arm war das Landesinnere. Ich war per Anhalter im Sommer 1978 dort unterwegs. Mitten im Gebirge kam einfach kein Auto mehr und wir gingen zu Fuß in das nächste Dorf. Dort war eine Taverne, an deren Türrahmen rohe Schafhäute hingen. Sie waren schwarz vor lauter Fliegen. Hunger und Durst trieb einen trotzdem hinein. Zu Essen gab es einen Salat, an den ich mich mehr erinnere. Aber der Eintopf blieb in Erinnerung. In einem Teller undefinierter Suppe schwamm ein Stück Fleisch mit einem Fetzen weißem Fettes. Als ich es sah, wurde mir zunächst schlecht. Ein Löffel der undefinierten Suppe überzeugte mich zumindest diese zu schlucken. Sie war salzig und das undefinierte Zeug waren verkochte Graupen. Das Fleisch war überraschend weich und konnte mit dem Löffel zerteilt werden. Ein Stück Fleisch und die Suppe mit den Graupen im Löffel sorgten für einen Geschmack, den ich damals gar nicht würdigte. Am Ende hatte ich nur noch den Fetzen Fett in der Suppe. Eh ich mich versah, landete ein Stückchen davon auf dem Löffel und in meinem Mund. Den süßlichen Geschmack hatte ich nicht erwartet. Ein schöner Tag mit einem schönen Erlebnis war das damals noch nicht.
Die Erinnerung an diese, für lange Zeit einzige Begegnung mit Schaffleisch, kam wieder, als wir neulich Fleisch vom hiesigen Schäfer kauften und meine Frau das Fett abschneiden wollte. Auch dieses Fett schmeckte, diesmal war die Überraschung nicht ganz so groß. Als ich die Geschichte mit dem Eintopf meiner Frau erzählte, entdeckte ich die Schönheit dieses Tages. Am Morgen in Patras aufgewacht, einen Weggefährten aus Frankreich getroffen, gemeinsam sich auf dem Weg nach Olympia gemacht und dann in dieser Taverne die griechische Bauerncuisine entdeckt!
Wer dem Altern entgehen will, sich vornimmt jeden Tag mindestens etwas überraschend Schönes zu entdecken, kann in den Erinnerungen kramen, falls die Gegenwart zu öde ist.
Die Älteren haben davon mehr.