Das brauchen Se nich


Kaum war ich zwei Schritte in der Wirtschaft, hörte ich „Das brauchen Se nich“ von einer Frau hinter dem Tresen. Ich schaute sie an, sie meinte „Wenn Se wollen können se“, aber da hatte ich das Ding schon herunter und grinste zurück. Unser Besuch Sachsens Mitte Juni 2020 hatte sich mit dieser offensichtlichen Ablehnung unsinniger Regeln gelohnt. Die mittlerweile abonnierten Telegram Kanäle aus dem Querdenken Bereich erzählten von der ostdeutschen Ablehnung aller Maßnahmen. Angeblich hatten die Menschen im Osten ihre Diktaturerfahrungen nicht vergessen und verweigerten sich eher den unsinnigen Vorschriften.

Als ich von Twitter Posts über Querdenken Demonstrationen in die Timeline gespült bekam, konnte ich einfach den Verweisen auf Telegramkanälen folgen, da unsere Tochter schon Telegram anstelle von Whattsup für die Familienfotos und -meldungen durchgesetzt hatte. Diesen Kanälen folgte ich gerne, bestätigten diese doch meine Ansicht zu Corona und den Maßnahmen: Es war eine geschürte Panik um wirtschaftliche oder politische Ziele durchzusetzen.

Wo sollten wir nur den Sommerurlaub verbringen? Ende Mai war ungewiss, ob überhaupt eine Reise ins Ausland möglich wäre. Zwar hatten wir schon unsere Quellen gastronomischer Dienstleistungen gefunden. Beim Fritten-Kalle am Dutzendteich gab es besagte Fritten und auch Bier zum verteilten Verzehren auf den Bänken und Ufern der Teiche. Damit die Flaschen wieder zurückfanden, forderte er einen horrenden Pfand von einem Euro. Aber auch der Berggasthof auf dem Moritzberg hatte die Essensausgabe geöffnet. Dort waren die Bierbänke abgesperrt und ein Schild forderte zum Entfernen von Ausgabestelle auf. Dann versammelten sich die Kunden eben an der einen Bank oder der sonnigen Kirchenmauer.

Erleichtert hörten wir von der Öffnung der Hotellerie in Sachsen. Ich entdeckte die Bastei mit Hotel und fragte, ob geöffnet sei und ob Proviant auf die Wanderungen mitgenommen werden müsste. Sie antworteten umgehend mit „Wir sind geöffnet und die Restaurants im Wandergebiet dürfen auch wieder“. Fronleichnam plus Brückentag plus Wochenende wurden für einen Ausflug zur Bastei in der sächsischen Schweiz geopfert.

Die Fahrt war schon bemerkenswert. Normalerweise beschleunigte das Auto, ein Mazda 3, zügig auf 130 oder 140, sodass es auf Autobahnen flott an den Lastern vorbeigeht. Aber schon in den Tagen vor der Abreise zog es nicht mehr so richtig. Da in Bayern die Werkstätten Ende Mai noch nicht systemrelevant waren, konnten wir absagen oder langsam fahren.

Wir zuckelten auf der Autobahn und genossen die Aussicht auf das Erzgebirge. Es erinnerte an Fahrten durch Schwaben. In jeder Stadt gab mindestens einen Industriebetrieb, der irgend etwas herstellte. Weit vor Dresden fuhren wir recht früh von der Autobahn ab, weil schleichen auch auf direktem Wege geht.

Das war also Sachsen, dachte ich, als ich durch die leeren Städtchen in Richtung Bastei fuhr. Ich vermisste die Neubaugebiete, in denen betuchte Pendler wohnten. Im nürnberger Land haben diese haben eindrucksvolle Gärten mit Swimmingpool oder ähnliches.

Im Hotel gab es Maskenpflicht und, wie eigentlich auch erwartet, war die Sauna aus hygienischen Gründen geschlossen. Die Zahl der Gäste war beschränkt, sodass sich beim Abendessen die Gäste in dem geräumigen Hotelrestaurant mit der grandiosen Aussicht über den gesamten Raum verteilten. Die maskierten Kellner nahmen das sportlich und huschten hin und her. Anschließend ging es in die Bar. Auch hier waren die Plätze schön von einander getrennt. Trotzdem wurde es gemütlich. Als wir uns für einen zweiten Cocktail interessierten, entschuldigte sich die Dame hinter Bar als sie die Maske abnahm. Sie war recht gesprächig und erklärte die diversen Optionen. Wir entschieden uns für etwas aus der großen Flasche, die sie uns als den Botanist Gin präsentierte, der etwas ganz besonderes sei. Für die Tonic Wasser hatte sie ebenfalls eine Auswahl im Angebot. Sie empfahl dann auch eine für meine Frau, während ich den Klassiker ohne Fruchtaromen nahm.

Am folgenden Tag ging es dann durch die Felsen und hinab an die Elbe. Einige Gaststätten hatten wohl tatsächlich offen, sodass wir es wagten, ohne Verpflegung einen Rundweg zu beschreiten. Als sich nach ein paar Stunden der Hunger regte, wurde es spannend. Zwar kannten wir uns nicht so richtig aus, aber es gab ja Hinweisschilder auf Gaststätten. An einer Stelle unten in einem Tal wies eine Tafel auf eine Mühle zur linken und eine andere auf etwas zur rechten hin. Kaum gingen wir nach rechts, kam uns schon ein Paar entgegen. Er meinte nur „Da gibts nüscht … “ und da war noch eine Fortsetzung, die mangels Sprachkenntnis von meiner Seite nur mit einem „Danke. Danke, dann also auf die andere Seite“ beantwortet wurde.

Der Gasthof lag malerisch an einer Straße, die sich zwischen Bergketten schlängelte. Es war anscheinend früher eine Mühle. Ein Teil des Geländes wurde von einem Motorradclub genutzt. Sie hatten einen offenen Unterstand für ihre Motorräder mit einem größeren Gartenhäuschen. Dort grillten einige Männer in Lederjacke.

Vor dem Gasthof gab es ein Biergarten mit Bänken, die jeweils eine Überdachung hatten. Es sah nach freier Platzwahl aus. Da alle Bänke mit Mehrfamiliengruppen belegt waren, nahmen wir eine für uns. Es fühlte sich an, wie vor einem Jahr. Die Bedienung, ein Mädchen, trug keine Maske und fragte auch nicht nach Name und Anschrift. Auf dem Weg zur Toilette kam dann die offene Aufforderung zur Rebellion. „Das Ding brauchen se nich“.

Ein paar Stunden später machten wir Rast in einem Café mit Aussichtsterrasse. Dort gab es ein anderes Regiment. Mit Maske galt es am Eingang zu warten, bis ein maskierter Ober unsere Daten aufnahm und uns an einen Platz führte. Es war ein recht großer Tisch und, ehe wir uns versahen, wurde noch eine Mutter mit etwa 10jährigen Sohn dazu gesetzt. Direkt kamen wir ins Gespräch uns sie bemerkte, dass die sächsische Schweiz und dieser Teil besonders, bei Touristen beliebt sei, die überall herumwanderten. Auf die Frage nach Tipps, was denn noch zu sehen sei, meinte sie, sie würde selber gar nicht wandern. Ihre Sache sei das Wandern gar nicht.

War das nun Ernst gemeint, oder dann doch nicht? Es könnte auch eine eigene Art von sächsischem Humor sein. So wie der Fahrer eines Autos am nächsten Tag. Dieser schnappte uns den letzten Platz bei dem ersten Wanderparkplatz auf dem Wege zum Kuhstall, einer der dortigen Sensationen, weg.

Er ging triumphierend an unserem Auto vorbei und ich fragte ihn, wo man denn noch parken könnte.

Kurz schaute er mich an: „Wees nich.“, dann grinste er und meinte „Für 15 Euro kannste meinen haben“.

Noch als ich darüber nachdachte, ob man das nicht machen könnte, lachte er laut los und ging weiter.

Das war so der Humor in Sachsen. Es hat mich ein wenig an meine Geburtsgegend, das Ruhrgebiet, erinnert. Auch dort nimmt man gerne „auf de Schippe“. Deswegen gab es auch einen recht kurzweiligen Aufenthalt in der Warteschlange am Eingang der Burg Kronstadt. Man stand nicht direkt dicht an dicht, aber doch so nah bei einander, dass die Witze und Sprüche und das Gelächter die Zeit bis zum Aufsperren der Kasse vertrieb.

Wurde in Sachsen in der Schlange gelacht, so hatten wir eine Begegnung einer anderen Art in der Warteschlange beim Fritten-Kalle in Nürnberg. Es war ein oder zwei Wochen vor den Tagen in Sachsen. Die Schlange vor der Frittenausgabe war so lang, dass ein Fuß- und Radweg überquert werden musste. An dieser Stelle kam uns oder kamen wir einer jüngeren Frau zu Nahe. Wir schauten uns an und es war klar, dass der geringe Abstand kein Problem war. Sie sprudelte los und erzählte, wie sehr sie sich freute, dass jemand anderes auch die Panik übertrieben hält. Normalerweise sagte sie das nie so direkt, weil man ja nie wüsste, wie der andere eingestellt wäre. Sie sah es nicht so gelassen wie ich, sondern vermutete ein Zeitenwechsel, der eingeleitet wurde. Ich erzählte ihr von dem Wassermannzeitalter, das demnächst kommen würde. Davon hatte ich zum ersten Mal von den Bhagvan Leuten 1982 gehört und, wer weiß, vielleicht käme es ja so. Das gab dem Gespräch dann noch eine optimistische Note.

In Sachsen erlebte ich eher eine selbstverständliche, allgemeine Ablehnung der Regeln. Man beugte sich, weil man musste und nahm an, dass der andere das auch so sieht. Mit den Tagen passte man sich an. So besuchten wir das Kamelienschloss bei Dresden mit normal erlebter Missachtung der geltenden Richtungspfeile und Maskengebote. Es fiel uns leicht, weil sowieso recht wenig los war, da die Kamelienblüte schon vorbei war.


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