Please remove your glasses


sagte die kleine, indisch aussehende Frau. Sie deutete mit ihren Händen an, dass ich noch einmal ohne Brille an der Kamera vorbeigehen sollte. Folgsam ging ich zurück, zog die Brille aus, lachte in die Kamera, hörte ein „now, it is ok“ und schaute neben der Inderin auf ihren Bildschirm. Das Foto zeigte mein Auge mit einem roten Punkt und der Inschrift 36,9. Die Inderin lächelte und meinte etwas von „temperature“. Meine Frau, sie war ohne Brille auf der anderen Seite des Ganges an dem Tisch mit den Kameras vorbeigegangen, wartete schon auf mich.

Auf meine Frage „Haben die etwa Fieber gemessen?“, erklärte sie mir etwas von Infrarotkameras, die aus so etwas messen könnten. Ende Februar 2020 wollten die in Malta eben wissen, ob man mit Fieber ins Land kommt. Wir beide bewunderten, dass ausgerechnet Inder solch ein System zusammengestellt hatten.

Es war der letzte Kurzurlaub, den ich als mehr oder weniger freier Zeitarbeiter in der Softwarebranche machte. Ab März würde ich in die Sklaverei der unbefristeten Festanstellung gehen. Bis zur Rente in fünf Jahren sollte das schon gehen und Team und Büro waren erstklassig.

Nun galt es im Februar die drei Tage Resturlaub zu nehmen, die ich als Reserve angespart hatte. Zwei Tage flossen in den Trip nach Malta, einen hatten wir schon für das verlängerte Wochenende in Hamburg verbraten.

Nach Hamburg hat mich nichts gezogen, aber der Freundeskreis schenkte mir zum 60.ten Geburtstag einen Tour de Reeperbahn Umschlag mit einem Stapel 5 Euronoten und einer Kartenskizze. Die Frau wollte sowieso immer schon eines der Musicals in Hamburg besuchen. Da auch meine Mutter ihren Lieblingssohn, der für sie kaum mehr Zeit hatte, in Hamburg besuchen wollte, planten wir eine Art kulturellen Familientreff eben dort. Als die Tochter das mitbekam, wollte sie auch kommen und organisierte Karten für das Cirque de Soleil Musical in der neuen Flora.

Es sollte der letzte, unbeschwerte Urlaub sein. Am Abend wies uns an der Hotelbar ein schon leicht angetrunkener Gast auf die Bierzapfanlage hin, bei der das Bier von unten ins Glas gefüllt wurde. Da brauchte man, natürlich, besondere Gläser mit einem Ventil an der Unterseite. Ich musste ein Glas trinken. In der Nähe des Hotels wiesen andere auf eine Pizzeria hin, bei der es leckeres Essen gäbe. Wir fuhren an die Landungsbrücken um in einer eher unorganisierten Schlange Heringsbrötchen zu erstehen. Die Tochter hatte für den Besuch in der neuen Flora kein Restaurant reserviert. Trotzdem fanden wir eine spanische Gaststätte, in der uns noch ein Tisch gedeckt wurde. Das chinesische Neujahrsfest in der Elbphilharmonie war zwar ausverkauft, aber das Craft Bier im dortigen Restaurant war genauso phänomenal wie die Aussicht auf den Hafen.

Sogar einen echten Hanseaten traf ich, als wir am Sonntagmorgen eine Ausstellung besuchen wollten. Wir waren ein wenig zu früh und stellten uns zu einer Schlange vor dem Eingang. Es war recht windig und ein Baustellenzaun mit Plakaten lag umgefallen an dem Platz. Ein, etwa gleichalteriger, Mann aus der Gruppe vor uns machte sich auf hier Ordnung zu schaffen. Interessiert schaute ich zu, er versuchte die drei umgefallen Zaungatter mit Plastikfahnen wieder aufzustellen. Leider waren sie mit Kabelbindern verbunden. Es war hoffnungslos die Dinger wieder hinzustellen. „Hilf ihm doch“, meinte meine Frau und ich gesellte mich zu ihm. Tatsächlich gelang es uns den Zaun wieder aufzustellen. Seine Bedankung war seltsam wortreich. Es fing an mit etwas wie „Schön, dass Sie mir geholfen haben“ und erklärte dann „Als Hanseat muss man sich um so was kümmern“ sowie „Wenn man so was anfängt, geht aufgeben gar nicht. Das wäre ja peinlich“. Danach stellten wir uns wieder zu unseren Frauen und warteten weiter auf Einlass.

Am folgenden Donnerstag flogen wir nach Malta. Ich fand Teneriffa eigentlich besser, aber meine Frau war von Malta nicht abzubringen, weil zum einen dort ihre Freundin, die sich zu Weihnachten gemeldet hatte, hingezogen war und zum anderen hatten wir die steinzeitlichen Siedlungen von Malta noch gar nicht besucht.

Vor dem Abflug kam im Fernsehen ein Bericht über die Lage in Teneriffa. Ein Hotel mit einem infizierten Gast wurde abgesperrt und unter Quarantäne gestellt. Auch in Deutschland kamen Infizierte und Kontaktpersonen in Quarantäne. Es handelte sich um eine grippeähnliche Erkältung verbunden mit Riech- und Schmeckverlust mit der man leben müsse und von einer großen Gefahr wurde nicht geredet.

Die überraschende Kontrolle der Temperatur bei der Einreise verdeutlichte uns, dass wir nun in einem anderen Land mit einer vielleicht anderen Einschätzung von Corona befanden. Einerseits bewunderten wir diese Kontrolle. Auf einer Insel wollten sie sicher sein, dass niemand mit Infekt hineinkommt. Andererseits fragte ich mich, was ich mache, wenn ich meine neue Stelle nicht rechtzeitig annehmen könnte. Es wäre dann ein Wink des Himmels diese eben nicht anzutreten, beschloss ich.

Den steinzeitlichen Tempel besuchten wir mit dem Hop-On-Hop-Off Bus. Auf dem Weg lag ein Fischerdorf an der Südküste, das zur Mittagspause einlud. Die Erinnerung an diesen Aufenthalt sollte mich über die Verzweiflung im Sommer keinen Strandurlaub machen zu können hinweg trösten. Damals war der Besuch eher langweilig und gar nichts Besonderes. An der Bushaltestelle gab es einen eher kleinen Markt mit Angeboten maltesischer Volkskunst und Süßigkeiten. Die Hafenpromenade war mit diversen Restaurants besetzt, die alle ihren Fisch anboten. Wir schlenderten auf und ab, entschieden uns für eines dieser Restaurants, nahmen Platz und beobachteten einen Fischer, der sein Boot anmalte. Sonnig war es und für einen Februar schon recht warm, immerhin blickten wir bei wolkenlosem Wetter nach Süden. Am Tisch hinter uns saß ein englisches Paar, das sich volllaufen ließ. Eben ein ganz normaler Tag im Urlaub am Mittelmeer. Wie oft sollte ich „Der Thomas hat alles richtig gemacht, der war noch am Mittelmeer“ in diesem Sommer hören!

Natürlich überraschten wir das befreundete Paar nicht unangemeldet mit unserem Besuch. Wir riefen vorher an, wie es gute deutsche Lebensart war. So erwarteten sie uns mit ihrem Auto und zeigten uns ihre bevorzugten Stellen auf der Insel. Im Lauf des Tages kam auch der Kulturschock nach einer Umsiedlung zur Sprache. Als gebürtige Malteserin erzählte sie wie sehr sich dieses Malta doch verändert hatte. Dass das Land so korrupt geworden war, hätte sie sich nie vorstellen können. Anscheinend würde das Land von einer Art Mafia regiert. Er, als Tierschützer, war von den maltesischen Jägern, die auch Zugvögel jagen würden, gar nicht so angetan. Die würden wie in einem Verein alle zusammenhalten und ihr Recht auf Flinten und Jagd verteidigen. Gegen diese Gruppe würde sich in Malta in Sachen Umweltschutz nichts, aber auch gar nichts bewegen.

Bei der Ankunft in Deutschland gab es keine Überprüfung der Temperatur wie in Malta. Es interessierte niemanden, ob man eventuell irgendein Erreger mit nach Deutschland brachte. Wir waren immer noch in einer Art Paniklosigkeit.


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