Ich will shopping


„Ich will shopping!“, hörten wir eine schreiende Frauenstimme. Wir drehten uns um und sahen, an der Insel mit den ausgewählten Blusen eine weiß gekleidete Frau mit dem Fuß aufstampfen. „So soll das nun sein? Ich soll wissen, was ich sehen will?“, fragte sie in die Runde. „Aber ich weiß doch gar nicht, was es Neues gibt. Ich will in Ruhe ansehen, was es gibt, ausprobieren, entdecken ..“. Traurig fügte sie hinzu „das macht doch gar keinen Spaß.“ und stürmte aus dem Karstadt.

In diesem Karstadt waren wir Anfang Mai 2020. Nach sechs Wochen durften die Geschäfte mit Luxusbedarf, wie Schuhe, Kleidung und so weiter, wieder öffnen, sofern an eine Sicherheit der Kunden gedacht wurde. Natürlich durften die Geschäfte nicht selber denken, wie sie ihre Kunden schützten, sondern bekamen genaue Vorschriften, was für den Schutz Kunden nötig wäre. So durfte der Karstadt nur eine Fläche von 500 qm2 für den Kundenverkehr öffnen und auch nur 50 Kunden zur gleichen Zeit hereinlassen. Der Karstadt in Nürnberg hatte das Erdgeschoss geöffnet und ließ die Kunden nur durch einen, per Security gesicherten, Eingang herein. Waren mehr als 50 Kunden im Haus, mussten die anderen draußen warten und dabei eineinhalb Meter Abstand voneinander halten. So war man das zu der Zeit von den Supermärkten und Bäckereien gewöhnt. War schon genug Kunden drin, so stand man vereinzelt vor der Tür. Ich hatte mir dadurch schon den samstäglichen Gang zum Bäcker abgewöhnt, weil ich nicht im Kalten stehen wollte.

Das Erdgeschoss vom Karstadt war ziemlich übersichtlich. Auf verstreuten Inseln gab es Teile vom gesamten Sortiment. Wir waren gespannt, ob sie Rommee Karten im Angebot hatten. Die wollten wir kaufen, weil meine Frau das vorabendliche Stricken satthatte und ich mich nicht mehr im Puzzle, das ich zu Weihnachten bekommen hatte, versuchen wollte. Wie hatte meine Mutter Weihnachten wissen können, dass so ein sinnloser Zeitvertreib, das war, was Monate später als Heldentat propagiert wurde. Ich löste das Puzzle bis auf etwa dreihundert Teile, alle schwarz und mit einer ähnliches Form. Am Ende verstaubte es auf seiner Puzzleplatte unter dem Sofa. Da aber der Lockdown bestimmt enden würde, war die Idee meiner Frau Bridge zu lernen wieder aktuell. Bei Bridge spielen immer zwei zusammen und das könnten wir als Paar machen. Ich hatte zwar meine Zweifel, da meine Frau nie Karten in die Hand genommen hatte. Als der Einzelhandel in der Stadt wieder öffnete, wollten auch wir einen Einkaufsbummel machen und etwas kaufen. Der Kauf von Kleidung oder Schuhen schien sinnlos zu sein, da unklar war, wann Theater, Büro oder Reisen wieder erlaubt würde. Außerdem müssen Spielkarten vor dem Kauf ausprobiert werden. Sie müssen in die Hand passen, die Symbole leicht lesbar sein und sich auch gut anfühlen. So etwas wollten wir finden!

Von Spielwaren war im Karstadt zunächst nichts zu sehen. Hinter dem Eingang standen Inseln mit Damenschuhen, Uhren und Parfüm, dann Damenmode und Herrenmode. Wir gaben nicht auf und nach dem Aufschrei der weißgekleideten Frau sahen wir einen Ständer mit Puppen und Schachteln von Legosteinen. Dort suchten wir nach Spielkarten. Zwischen den Kartons mit den Puzzlen und Brettspielen sollten die eigentlich stehen. Wir kamen aber gar nicht dazu, uns zu fragen, ob die Suche vergeblich wäre. Stattdessen hörten wir:

„Wenn irgendetwas fehlt, sagen Sie nur Bescheid, ich hole es Ihnen dann“. Ein junger Verkäufer im grauen Anzug sprang zu uns. 

Mein „Ach Sie holen das dann ..“, reichte und sofort erklärte er die Situation.

„Ja klar. Wir haben ja viel zu wenig Platz um das gesamte Sortiment auszustellen. So haben wir nur eine Auswahl von jedem Stockwerk ausgestellt, der Rest ist oben. Wenn sie etwas wollen, das nicht hier ist, sagen sie es nur. Ich laufe dann für sie hin und hole die Sachen für Sie.“

„Rommé Karten. Wir sind hier …“. Schon lief er los.

Wenig später kam er mit allen Spielkarten wieder, die er auftreiben konnte. Das waren doch mehr als erwartet. Es gab eine Seniorenversion mit extra großen Zeichen, die wir sofort ablehnten. Wir konnten sogar ausprobieren, wie die Karten in der Hand lagen. Der Verkäufer öffnete bereitwillig die Plastikverschweissung. Das war etwas, das wir vor einem halben Jahr nie gefordert hätten. Wir sortierten die allzu glatten Karten aus und entschieden uns für die Loriot Variante. Die hätten wir vermutlich auch ohne auszuprobieren gekauft.

Meine Frau ging zur Kasse und ich verließ schon mal das Geschäft wegen der störenden Mund-Nasen-Bedeckung. Dieses Wort, Mund-Nasen-Bedeckung, wurde Anfang April 2020 geformt, da chirurgische Masken nicht in ausreichender Menge zur Verfügung standen und niemand diese wegkaufen sollte. Zwar würden auch diese nicht helfen, aber diejenigen, die irgend etwas tun wollten um sich zu schützen, müssten eine Alternative haben. Im Fernsehen wurde diskutiert, ob nicht eine „Alltagsmaske“ aus Baumwollstoff helfen könnte. Auch diese würde nur ein Gefühl von Schutz bieten, da für einen Schutz viel zu grobmaschig sei. Aus Solidarität mit diesen Schutzsuchenden, war das Becken von Mund und Nase, auch mit einem Schal, in Innenräumen und öffentlichen Verkehrsmitteln vorgeschrieben. Das Fernsehen feierte Schneidereien, die diese Lücke erkannten und lustige Masken nähten. Eine neues, modisches Accessoire entstand.

Meine Frau hatte extra weite Masken genäht, sodass das Tuch locker über Nase und Mund fiel und wir gut Luft bekamen. Bei jedem Blick im Spiegel erschrak ich. Dort wo früher ein breites Grinsen zu sehen war, war nun ein quergestreifter, grün-weißer Stoff. Ich empfand mein Gesicht nicht als das eines Menschen. Überhaupt erschraken mich maskierte Gesichter und ich vermied es andere Menschen anzusehen.

Zwar galt auch vor dem Karstadt Mund und Nase mit irgend etwas zu bedecken, aber ich zog mir die Maske herunter und atmete tief durch. In der Fußgängerzone sahen es einige, aber nicht alle ähnlich. Vorne an der Lorenzkirche hatten wir Polizei gesehen, die die Bedeckungspflicht wohl kontrollieren sollte. Aber hier, ein paar Meter weiter, schien es lockerer zu sein. Ich beobachtete blanken Aufstand:

„Seid ihr es?“, fragte eine, noch maskierte Frau mit ebensolchen Mann die Frau eines ebenfalls maskierten, entgegenkommendes Paars.

Die so angesprochene Frau zog die Maske herunter und löste eine paarübergreifende Demaskierung aus. Die Paare grinsten sich an, ich hörte noch ein „lange haben wir uns nicht gesehen“ und dann beobachtete ich ein „ach was soll es denn“ und die Frauen tauschten Küsschen links und rechts aus, die Männer Händedrücke.

Mich freute dieser Aufstand der normalen Leute weit mehr als die Sichtung eines griesgrämigen, grauhaarigen Mannes mit einem „Corona-Rebell“ Pullover. Das stand auf dem in roten Lettern auf seinem hellgrauen Pullover. Grimmig demonstrierte er mit hängenden Mundwinkeln, dass er nicht daran dachte der Gesellschaft diesen Anblick zu ersparen und den Mund Nasen Bereich zu bedecken. Hatte ich etwa den ersten sogenannten „Querdenker“ in Nürnberg entdeckt?

Den Begriff kannte ich Anfang Mai 2020 noch nicht. Dann könnte ich mich erinnern, wie wir Ausschau gehalten hätten. So wie ein paar Wochen später, als ich sah, wie an der Wörther Wiese etwas aufgestellt wurde. Wir wanderten an dem Wochenende lieber, weil Demonstrationen gar nicht nötig waren, um den Ausnahmezustand zu beenden. Er schien ein Ende zu haben. Zwar wurden aus den zwei Wochen eher zwei Monate, aber die Maßnahmen waren dann doch nicht so krass, wenn man keine schulpflichtigen Kinder hatte. Richtig in Quarantäne kamen immer nur die unmittelbar Gefährdeten. So wurden die Arbeiter vom Tönnies in Fleischfabrik in ihren Wohnblöcken eingesperrt, aber eben nicht der gesamte Stadtteil. Bei jeder Anordnung eines Gesundheitsamts rief jemand das zuständige Amtsgericht an und dann wurde zurück gerudert.

Wir machten uns Sorgen um die Spargelernte. Frischer Spargel gehörte immer zum Frühjahr und Weißwein hatte ich mir im online Weinhandel schon bestellt. Zum Glück gab es hier auch eine Lösung. Nur gesunde Erntehelfer wurden eingeflogen und diese schliefen dann auch ganz getrennt von der einheimischen Bevölkerung. Wie sie das mit den LKW-Fahrern geregelt hatten, weiß ich nicht mehr, aber in den Geschäften kamen genug Waren an und die Industrie produzierte weiter. Nur Bereiche mit Publikum hatten Maskenpflicht und Abstandsregeln.


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