Da brennt es


Meine Frau zeigte auf die andere Seite des Dutzendteichs. Dort stand die Kongresshalle, in der nach dem Endsieg der Volkskongress tagen sollte. Jedenfalls die ersten Stockwerke, die bis 1945 fertig gestellt wurden. Von einem Feuer sah ich nichts.

„Was meinst Du? Wo soll was brennen?“, fragte ich zurück.

„Sieh, doch dort, auf dem Dach, bei dem, wie heißt das doch noch? vor der Halle“, sagte sie.

Da sah ich auch die Rauchschwädchen, die über dem vorgelagerten Serenadenhof aufstiegen. Sie waren mal mehr, mal weniger deutlich zu sehen.

„Da ruft bestimmt einer an“, meinte ich und widmete mich dem Amarettoeisbecher. In der Lockdownzeit hatten wir einige to-go-Perlen entdeckt. So auch den Eissalon an der Unterführung zum Bahnhof Dutzendteich. An sonnigen Nachmittagen kauften wir dort immer etwas und gingen danach um den Dutzendteich spazieren. Diesmal fanden wir eine freie Bank in der Sonne. Und das sollte genossen werden.

Aber es dauerte nicht lange, bis meine Frau ungeduldig wurde. „Wenn da sonst keiner anruft, dann müssen wir das doch melden“, meinte sie. Ich gab ihr Recht, mindestens einmal sollte man die 110 wählen und nun hätte sie die Gelegenheit.

Sie rief an und schilderte, was sie gesehen hatte. Befriedigt steckte sie ihr Handy wieder weg und meinte, sie würden jemanden schicken. Tatsächlich, kurz bevor ich mit dem Eis fertig war, fuhr auch schon die Polizei an der Kongresshalle vor.

„Die Polizei ist zuerst da. Gleich kommt die Feuerwehr“, schilderte ich den Sachverhalt und beendete meinen Eisgenuss.

Geduldig wartete ich bis meine Frau mit ihrem Eis fertig war. Ich warf die blauen Plastikbecher samt Holzlöffelchen in den Mülleimer und wir warteten auf die Feuerwehr. Diese kam nicht, stattdessen verschwand die Polizei wieder. Rauch stieg immer noch oberhalb des Serenadenhofs auf.

„Wir gehen dann mal entgegengesetzt um den See“, schlug ich vor. „Mal sehen, wie das aus der Nähe aussieht.“

Je näher wir der Kongresshalle kamen, umso weniger war von dem Rauch zu sehen. Die Polizei hatte anscheinend gar nichts gesehen. Hatten wir ein Problem wegen des Fehlalarms?

Wir schlenderten die Promenade entlang. Wenn die Feuerwehr käme, könnten wir dann erklären, wo wir den Rauch gesehen hatten. Auf der gegenüberliegende Seite des Dutzendteichs waren nicht nur die Bänke zu sehen, von denen wir den Rauch entdeckt hatten, sondern auch die Anlegestege vom Segelverein und, etwas weiter, die Hütten des Rudervereins. Davor gab es eine schwimmende Plattform mit einer halbrunden Überdachung. Von der Plattform markierten Bojenseile einen dreieckigen Bereich.

Mir fiel ein, was ich am morgen im Radio gehört hatte.

„Schau mal, das muss der Rest der Seebühne sein!“, führte ich aus. „Da haben die Musik gemacht für Zuhörer in Booten. In jedem Boot durften maximal drei Leute hinein. Zwei mussten schwören aus einem Haushalt zu kommen, damit das mit den eine Person aus anderem Haushalt seine Richtigkeit hatte. Na ja.“

Nun standen wir vor dem Nebeneingang des Serenadenhofs. Hier gingen die Musiker und Caterer hinein, wenn drinnen Vorstellung war. Dieser war natürlich geschlossen. Davor standen ein paar Autos. Rauch konnte man von hier gar nicht erkennen. Den sah man wohl nur von der anderen Seite des Sees.

Ein paar Meter weiter, bei dem Modellbootverein, stand ein Arbeitersamariterwagen mit zwei uniformierten Helfern. Wir sagten ihnen Bescheid, dass wir ein Feuer gemeldet hätten und baten sie, wenn die Feuerwehr käme, diese auf das Dach hinzuweisen, da das Feuer von außen anscheinend gar nicht gesehen werden konnte.

Sie schauten sich an, einer grinste kurz und der andere meinte „Ja, wir schauen da mal vorbei. Wir haben da auch einen Schlüssel. Machen Sie sich keine Sorgen“.

Wir gingen weiter und nach ein paar Schritten fiel mir unser Konzertbesuch im Serenadenhof ein. Da hatten wir vor einigen Jahren etwas mit cubanischem Son besucht. Die Plätze waren teuer, aber dafür nicht garantiert regensicher. Geregnet hatte es nicht, trotzdem war der Abend eher ein mäßiger Erfolg. Die Gruppe und die Musik war hervorragend, nur das Ambiente sagte mir nicht zu. Im Konzertbereich war auch die Gastronomie in Form eines Häuschens mit Grill integriert. Das hatte den störenden Effekt, dass dort Leute standen, die sich etwas anderes unter der Darbietung versprochen hatten und sich unterhielten. Mich hatte das so sehr gestört, dass ich mich daran erinnerte.

„Die Gastronomie! Da hatten die doch gegrillt, als wir da waren. Erinnerst Du dich?“, fragte ich meine Frau.

„Ja, da war dieses Häuschen in der Mitte. Schon möglich, dass da … Meinst Du die gehen sich da jetzt später ihre Wurst abholen?“ lachte sie zurück.

Wir gönnten es ihnen. Wenn es sich denn wirklich so zugetragen hatte. Der Platz für eine Grillfeier war vorhanden. Er war nicht öffentlich einsehbar und die systemrelevanten Kräfte konnten dort in aller Heimlichkeit gemeinsam feiern.

Das erklärte auch, warum die Polizei zwar ankam, aber dann doch nichts gemacht hatte und auch den nun erkennbar verschmitzten Gesichtsausdruck der beiden Samariter bei der Wir-schauen-da-mal-Vorbei Ankündigung.

Unser Nachmittagsbier wollten wir nicht beim Frittenkalle nehmen, sondern den Biergarten im stillgelegten Bahnhof Dutzendteich, gegenüber der Steintribüne an dem Zeppelinfeld aufzusuchen. Dieser hatte wieder aufgemacht und dort war auch genug Platz für uns. Pro Tisch durften nur Gruppen sitzen, die aus maximal zwei Haushalten kamen und in eben diesem Bahnhof gab es genug kleine Tische, die sich über das gesamte Areal verteilten.

In der Nähe der Steintribüne hörten wir laute Musik. Auf der Plattform im vorderen Bereich tanzten mehrere Paare Salza. Sie sahen nach Tanzschule aus. Die Frauen trugen Röckchen mit Fransen und die Männer weite Leinenhosen mit geschlossenen Schuhen. An der Ecke der Plattform stand ein Mann, der die Zugänge und Zufahrten zu diesem Bereich der Steintribüne kontrollierte. Ich verwechselte ihn mit einem Tanzlehrer aus ganz alten Zeiten und wollte ihn grüßen. Mein Lächeln erwiderte er mit einem eher erschrockenen Gesichtsausdruck. Es war nicht der Tanzlehrer von 10 Jahren, der war auch länger. Dieser war kleiner und gar nicht so souverän.

Im Biergarten wurden die Tische wieder mit einem Lappen geputzt. Zur Kontaktverfolgung bekamen wir einen Zettel mit Feldern, die meine Frau sorgfältig mit Name, Anschrift, Datum und Uhrzeit füllte. Damit er nicht vom Winde verweht wird, legten wir ihn unter dem Aschenbecher.

Zum Bier schauten wir uns das Publikum an. Alle freuten sich wieder in Gesellschaft etwas zu konsumieren. Einige Freundeskreise saßen tatsächlich an getrennten Tischen, die dann so dicht nebeneinander standen, dass Gespräche ohne sonderlicher Lautstärke möglich wagen. Es gab auch Gruppen die an zusammengestellten Tischen saßen.

Nach zwei Halben und zwei Radlern zahlte ich. Wir verließen den Biergarten unmaskiert durch ein Gartentor. Beim Verschließen des Tores schaute ich mich noch einmal um. Der Zettel lag immer noch unter dem Aschenbecher.

Nahmen alle die Sache mit dem gefährlichen Virus nicht mehr so ernst?

Fast schien es so, aber der folgende Montag belehrte mich eines besseren. Ich war Mitglied in einem Verein, der denkmalgeschützte Häuser in Nürnberg renoviert. Und dieser Verein brauchte Hilfe bei der alljährlichen Schnitzeljagd durch die Stadt. Am Anfangsstand kaufen Teilnehmer einen Bogen mit einer Route durch die Stadt, bei der an Stationen Fragen zu beantworten sind. Der ausgefüllte Bogen wird am Schlussstand ausgewertet. Die Hygienevorschriften machten eine Verstärkung notwendig und ich ging am Montag zur Vorbesprechung.

Wir trafen uns vor dem Stadtpark. Endlich sah man sich wieder und es wurden sofort Hände geschüttelt und die, die sich näher kannten, umarmten sich sogar. Als die Sekretärin vom Verein mit den Unterlagen eintraf, war es damit zunächst vorbei. „Wir sind doch in einer Pandemie. Wir müssen doch Abstand halten“, rief sie durch ihre Maske zur Begrüßung. Pro Forma traten alle ein wenig zurück, um danach wieder weiter zu tratschen.

Für den Stand am Anfang wurde ein „starker Mann“ gesucht, der die Teilnehmer auf genau dieses Abstandsgebot hinzuweisen hatte. Das übernahm ein Handwerker von der Baugruppe. Ich bekam die Rolle des Aufpassers an den Toiletten. Da ich dabei war, musste ich zusagen.

Am nächsten Samstag stand ich dann im Innenhof eines evangelischen Gemeindezentrums und bewachte den Eingang, an dem sich die Toiletten befanden, die immer nur von einer Person benutzen werden durften. Zwar wäre die gleichzeitige Benutzung bei unterschiedlichen Geschlechtern erlaubt gewesen, aber die hätten sich im Eingang treffen können und dann wäre der Abstand nicht gewahrt worden.

Ob ich eine Maske tragen musste, weiß ich nicht mehr genau. Eigentlich musste jeder im Innenhof Mund und Nase bedeckt haben. Ausgenommen waren davon nur die, die Fragebögen auswerteten, solange sie auf ihrem Platz saßen. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich die Maske gestört hätte, obwohl es ja warm war. Vermutlich war ich an meinem Arbeitsplatz von der Pflicht ausgenommen oder diese Pflicht wurde in den Stunden, in denen ich dort war, nicht mehr so richtig befolgt. Es kann aber auch sein, dass die lockere Alltagsmaske so um Mund und Nase hing, dass sie gar nicht groß gestört hatte.

Später erzählte ich meiner Frau, dass die Panik bald vorbei wäre, da nur die Familien mit Kindern die Regeln noch einhielten. Alle anderen müssten ermahnt werden, sich zu maskieren oder Abstand zu halten. In den Sommerferien würde sich bestimmt auch noch geben.

Einige Tage später trafen wir auf den Weg über den Luitpoldhain um die Seen eine Gruppe aus Regensburg. Es waren Eltern mit ihren nahezu erwachsenen Kindern. Sie hatten Karten für ein Konzert im Serenadenhof. Wir hatten davon nichts gehört, aber zeigten ihnen erfreut den Weg. Endlich gab es wieder Kultur!

Wenig später trafen wir die enttäuschte Truppe am Volksfestplatz. Sie fluchten über den Betrüger, der ihnen die Karten verkauft hatte. Der Vater holte die Karten heraus, wollte sie mir zeigen und bemerkte dann, dass diese für 2021 waren. Das erheiterte die Gruppe direkt wieder. Ich empfahl ihnen den Biergarten am Dutzenteich, der hätte geöffnet.

Wir waren nicht alleine in dem Glauben, dass die Panik bald zu Ende ging.


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