One more for the Lady


An den Tischen vor uns saßen Gruppen fröhlicher Engländer. Auf der Bühne gab eine Coverband ihr Bestes. Eine Frau brüllte: „It works, the more I drink, the better they get“.

Vom Nachbartisch hob sich eine Hand und deutete auf diese Frau: „One more for the Lady“.

Sämtliche, des englischen mächtigen, Gäste auf der Terrasse brachen in schallendes Gelächter aus. Meine Frau meinte: „Die haben ja wirklich diesen Humor“. Ich fand die Band, zu deren Rhythmen wir eine Woche vorher noch ausgiebig getanzt hatten, zwar nicht so schlecht, aber diesen Witz viel besser. Und auch die Gäste, denen der Witz erst übersetzt werden musste, lachten mit Verspätung.

Wir saßen an der Glaswand, die die Terrasse von der Hotelbar trennte. Hier waren wir im Windschatten und brauchten keinen Pullover für den Fall der Fälle mitzunehmen. Immerhin gab es auch auf Rhodos im Oktober schon den einen oder anderen windigen Abend, an dem meine Frau sich eine Erkältung einfangen könnte. Das wollten wir am Ende der zwei Wochen auf gar keinen Fall!

Sie hatte mich für den Urlaub ausdauernd beredet. Meine bisher einzige Fahrt im öffentlichen Nahverkehr mit vermummten Mitreisenden hatte mich geprägt. Ich hatte Angst vor den Gestalten ohne Gesichtsausdruck, so dass ich einen Flug in den Urlaub überhaupt gar nicht in Erwägung zog. Der Chef meiner Frau urlaubte Anfang Juni in Rhodos. Seitdem schlug sie immer vor, doch auch ans Mittelmeer zu fliegen. Ich erzählte von dem Urlaub eines Kollegen in Südfrankreich, der Bilder von vermummten Touristen am Strand gepostet hatte und verwies auf die Berichte im Fernsehen von Touristen, die sich nur volllaufen ließen, weil es sonst nichts zu tun gäbe. Die Zusicherung des Nachbarn, dass in Griechenland niemand Angst vor Corona hätte, führte zu einem gemeinsamen Besuch im Reisebüro. Dort pries die Verkäuferin den Urlaub unter Corona Bedingungen mit Ausfall- und Rückholungsversicherung an. Ich musste einfach zustimmen.

Am Morgen des Abflugs traf die Email meines PCR-Tests ein. Der Abstrich musste weniger als 48 Stunden vor Einreise genommen worden sein, damit die griechische Grenzpolizei das akzeptierte. Deswegen vereinbarten wir am Donnerstag Abend beim Testzentrum am Flughafen einen, im voraus bezahlten, PCR-Test. Für diesen hätten wir den zugehörigen QR-Code ausgedruckt oder auf unseren Smartphones haben müssen. Damit hatten wir nicht gerechnet. Ein lokales wlan funktionierte nicht, der Termin verstrich, aber der Testverantwortliche meinte, das würde schon passen. Meine Frau schaltete die mobilen Daten auf ihrem Gerät ein und fand die weitergeleitete Email mit den QR-Codes. Anschließend bat uns der Testverantwortliche nacheinander in den Testraum und rammte uns einen recht langen Testfühler in das linke und das rechte Nasenloch. Bei meiner Frau blutete es leicht. Dafür bekam sie die Email mit dem negativen Testergebnis schon nach 24 Stunden, während ich bis kurz vor dem Abflug warten musste. Entsprechend schlecht hatte ich geschlafen, zumal auch die Bestätigungsemail der griechischen Einwanderungsbehörde auch noch nicht eingetroffen war. Diese wurde immer am Tag der Einreise um Mitternacht zugestellt. Darauf hatte die Verkäuferin im Reisebüro schon hingewiesen und auch unserer Nachbarin hatte gemahnt nur die Ruhe zu bewahren, die würden das schon schicken. Trotz alledem konnte ich ein paar Stunden Schlaf finden.

Im Flieger galt es Mund und Nase mit irgendetwas zu bedecken, egal wie locker es hing. Ich dachte das würde nicht so eng gesehen, aber die mahnenden Worte des Bordpersonal wollten beachtet werden. Während des Verzehrs vom Snack war eine eventuelle Ansteckung zum Glück ausgeschlossen, so dass ich mich wunderte, wie langsam ich doch essen konnte. In früheren Zeiten schlang ich das immer schnell hinunter, damit ich wieder das Tablett hochklappen konnte und so mehr Beinfreiheit hatte. Nun galt es ein klein wenig vom Sandwich abzubeißen und möglichst lange darauf herum zu kauen.

Aber auch das hatte ein Ende. Mit bedecktem Gesicht lehnte ich mich zurück und versuchte zu schlafen. Hinter uns weinte ein Baby. Dann lachte es, um wieder zu weinen. Ich blickte mich um und sah einen Vater mit Baby auf dem Arm. Wenn es sein Gesicht sehen konnte, lachte es. Aber sobald er wieder Vorsicht walten ließ und Mund und Nase bedeckte, fing es an zu weinen. Ich zwang mich vor mich hinzusehen. Auf dem Gang schritt eine Mutter mit Maske und weinendem Baby auf und ab. Ich zählte die Sekunden bis zum Anflug.

Kaum stiegen wir aus, waren die Lappen in der Tasche und tatsächlich fragte keiner danach. Mit Gepäck passierten wir die Kontrollen wegen der Einreiseanmeldung und der negativen PCR-Tests. Spannend war nur noch, ob wir für die Stichprobe ausgewählt würden. Denn dann müssten wir ein oder zwei Tage in Quarantäne, bis ein, hoffentlich negatives, PCR-Testergebnisse einträfe. Aber der Strom der Touristen passierte nur ein paar uniformierte Frauen, die sich unterhielten und niemanden heraus pickten.

Mit einem Mietwagen fuhren wir zum Resort. Wir waren früh und nahmen die Landstraßen quer über die Insel. Von Coronapanik war in Rhodos tatsächlich nichts zu spüren. In der Dorftaverne, in der wir zu Mittag aßen, saßen die Stammgäste an ihrem Tisch, unterhielten sich und, wenn jemand ging oder kam, wurde umarmt und Hände geschüttelt. Es war genau so, wie es der Nachbar erzählt hatte. Aber als wir in dem Resort ankamen und mit den Koffern zur Rezeption liefen, sahen wir hinter dem Tresen eine Frau mit OP-Maske. Davor stand eine Touristin mit bedecktem Mund-Nasen-Bereich. Also legten auch wir unsere Lappen an. Diese behielten wir an, bis wir die ersten, grinsenden Gäste entdeckten.

Zum Schutz der Gäste vor Ansteckung gab es weder Sauna noch Well- oder Fitness. Dafür funktionierte aber die Pediküre, die meine Frau in Anspruch nahm. Wer wollte, durfte beim Frühstückbuffet die Markierungen beachten. Hierdurch taten sich Lücken in der Schlange auf, die ich nutzte, um schneller an das Spiegelei zu gelangen. Nach ein paar Tagen herrschte am Buffet, jedenfalls zum Frühstück ein gesundes Chaos. Wie es am Abendbuffet aussah, kann ich nicht beschreiben, da wir nur Frühstück gebucht hatten und zum Abendessen immer eine von den vier nahegelegenen Tavernen besuchten. Dort lief die Bedienung ausnahmslos ohne Lappen vor Mund und Nase herum. Auf ganz Rhodos sahen wir zu dieser Zeit nur die Leute im Museum von Rhodos Stadt mit OP-Maske. Dort wurde auch kontrolliert, dass die Besucher innerhalb des Gebäudes Mund und Nase bedeckt hatten.

Als ein maskierter Ober am Pool mir mein Bier brachte, bedankte ich mich mit einem „Gracías“ und er fing sofort an, auf spanisch nachzufragen, woher ich Spanisch könnte. Ich teilte ihm mit, dass meine Frau aus Peru käme und er erzählte von seiner Freundin, die ebenfalls aus Peru sei und wie klein die Welt doch sei. Wir verabredeten uns zu einer Kaffeepause außerhalb des Resorts, so dass man sich mal in die Gesichter sehen konnte.

Der junge Mann entpuppte sich als eher 40 jähriger mit gräulichem Schnurbart. Seine Freundin war bestimmt 10 Jahre jünger und seine Erzählung vom Saisonstart und -ablauf auf Rhodos stimmte einen traurig. Die Menschen dort verdienten in der Saison für den Winter mit. Da es in Griechenland wenig Sozialleistung gibt, müssten die Reserven über den Winter reichen. Mit dem Lockdown im Frühjahr war die Saison kürzer und die Resorts durften nur zur Hälfte belegt werden. Wie nun die Leute, die nicht soviel Glück hätten, wie er selber, über den Winter kommen würden, wüsste er nicht. Sehen könnte man das an den leer gepflückten Mandarinenbäumen. Diese hätten nie jemanden interessiert, aber nun, mit Corona, sind alle abgeerntet. So haben bestimmt einige ein wenig dazu verdient. Er zog auch über den Eigentümer des Resorts her, der alle Zimmer vermietet, obwohl er nur die Hälfte vermieten durfte. Es gäbe ja auch nur die Hälfte an Bedienung.

Das Gespräch wechselte dann in Richtung Peru, die Frauen tauschten ihre WhatsApp Konten und uns wurde empfohlen unbedingt Olivenöl aus dem Nachbartal mitzunehmen. Am nächsten Tag fanden wir uns auf einer kurvigen Straße wieder. Zur linken und zur rechten Seite standen Olivenbäume. Als wir zum Dorf kamen, fuhr ich langsamer und suchte einen Hinweis, wo denn Olivenöl zu verkaufen wäre. Zu sehen war gar nichts. Frustriert machten wir Station in dem Kafenion am Dorfplatz und hofften dort irgendwie weiter zukommen. Die Bedienung schien uns gar nicht zu verstehen, aber griechische Kaffees fanden dann doch ihren Weg auf unseren Tisch. Am Nachbartisch entdeckte ich einen jungen Mann mit „Union Berlin“ Trikot. Das war unsere Rettung. Er hatte zwar selber kein Öl mehr und eigentlich wäre schon alles verkauft, aber es könnte noch einen von den Bauern geben, der uns für zwanzig Euro fünf Liter verkaufen könnte. Die ganze Truppe im Kafenion war bei der Suche dabei und wir fuhren mit einem Kanister Olivenöl zurück. Es wurde nicht einmal von Corona geredet.

Mit der Ankunft einer Gruppe englischer Touristen in den letzten Tagen des Urlaubs änderte sich die Stimmung auf der Terrasse. Wo vorher die Tische auseinander standen, so dass die Paare oder Familien jeweils für sich saßen, wurden nun große Stuhlkreise gebildet und laute Reden geschwungen. Bei der griechischen Folkloregruppe tanzten eine Woche vorher brav mehr Frauen als Männer mit, nun wurde die eine tanzende Frau ausgelacht. Ich bewunderte ihr Beharrungsvermögen. Trotz Lachen hielt ihre Tanzeinlage durch. Wie dieses Publikum wohl die Ballettgruppe, die mir so gut gefallen hatte, behandelt hatte? Diese trat am Tag unseres Abflugs noch einmal auf. Wie mir ihre Primaballerina an der Bar erzählte, traten sie normalerweise bei Kreuzfahrten auf und brauchten sich um eine Moderation nie zu kümmern. Deswegen führten sie ihr Können ohne Ansage und auch ohne Pause einfach auf und das Publikum würdigte ihre Kunst kaum.

An jenem Abend warteten wir an unserem reservierten Tisch auf die Coverband, zu der wir in der Woche vorher ausgiebig getanzt hatten. Die Engländer kamen vom Buffet und brachten Stimmung auf die Terrasse. Mit „it’s ok“ setzte sich eine Frau an unseren Tisch. Sie machte gar nicht in Konversation, da unsere Antwort, ein deutsches „Klar doch“, so ganz und gar unenglisch war. Anscheinend war Corona mit Panik und Vorsicht nun wirklich vergessen.

Aber es war nur nahezu vergessen. Unser sofortiges Lachen über den Witz verriet unser Sprachkenntnisse und schon sprach unser selbst eingeladener Tischnachbar meine Frau an. Sie antwortete mit „sorry“ und tat, als hätte sie ihre Englischkenntnisse vergessen. Später im Zimmer beschwerte sie sich über das Benehmen der Frau, die sich einfach zu uns gesetzt hatte und sogar noch mit uns reden wollte. Sie hätte uns doch anstecken können. Wo wir doch einen negativen PCR-Test für den Rückflug brauchten. Auf Santorini hatten die englischen Touristen die Inzidenz auf über 200 hochgetrieben. Ich hatte das gar nicht bedacht und brachte die Versicherung ins Spiel. Die versprach im Fall eines negativen PCR-Tests die Unterbringung in einem komfortablen Quarantänehotel und die Organisation eines späteren Rückflug.

Wo wir nun genau diesen PCR-Test gemacht hatten, habe ich vergessen. Ohne negativen Bescheid wären wir nicht zurückgekommen, also haben wir einen gemacht. Bei der Abfahrt zum Flughafen bekamen wir an der Rezeption den Hinweis, dass im Flughafen eine Mundnasenbedeckungspflicht herrschte, die auch kontrolliert würd. Geglaubt hatte ich das zunächst nicht, aber die Polizei am Flughafeneingang belehrte mich eines Besseren.

Beim Rückflug funktionierte das „angestrengt aus dem Fenster gucken mit unbedeckter Nase“. Der Geruch von dem Lappen war einfach widerlich. Nach Ankunft in der Wohnung kontrollierten wir das Olivenöl. Wir hatten es in Plastikflaschen umgefüllt und diese in verklebte Plastiktüten gehüllt. Es tatsächlich funktioniert, so wie es der junge Mann mit dem Union Berlin Shirt erklärt hatte. Das Bild von den ausgepackten Flaschen postete ich in die Kollegengruppe.

An jenem Abend schauten wir wieder Fernsehen. Donald Trump hatte seine Coronainfektion überstanden, in dem er ein neuartiges Medikament, „monoclonale Antikörper“ die direkt die Virenlast reduzieren, ausprobiert hatte. Er war wieder in seinem Wahlkampf aktiv. Auch seine Frau hatte die Infektion ohne Komplikationen überstanden. Nun sollte doch eigentlich die ganze Coronapanik vorbei sein, dachte ich.


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